Allerheiligen 1978

 

Wenn ein Papst nach langen Jahren der Kirchenleitung stirbt, wie Papst Paul VI. nach 15 Jahren, dann hat er nicht blo§ viel Leid erfahren, sondern auch viele Freuden. Und zu den Freuden eines Papstes gehšren zweifellos die Selig- und Heiligsprechungen, in denen er zeigen konnte, dass die Kirche immer noch – wie herauf durch die Jahrhunderte – die heilige Kirche und die Kirche der Heiligen ist, weil sie mit ihrer heiligen Lehre, mit ihren heiligen Gnadenmitteln und mit ihrer heiligen, von Christus gelernten und geerbten Erzieherweisheit immer wieder aus allen Altersstufen und BerufsstŠnden und aus allen Všlkern und Nationen Heilige hervorbringt.

Papst Paul VI. hat in den 15 Jahren seiner Regierungszeit viele Selige und Heilige, darunter Selige und Heilige aus deutschen Landen zu Ehren der AltŠre erhoben: am 13. Oktober 1963 hat er den sudetendeutschen Redemptoristen und Bischof Johannes Nep. Neumann selig- und vor zwei Jahren dann auch noch heiliggesprochen; am 13. Oktober 1968 hat Papst Paul VI. die deutsche Stifterin der Salvatorianerinnen, Mutter Maria Theresia von WŸllenweber aus Mšnchen-Gladbach seliggesprochen; am 24. MŠrz 1974 wurde die gleiche Ehre dem Konvertiten, Priester und MŠrtyrer Liborius Wagner zuteil.

Am 28. April 1974 wurde Mutter Franziska Schervier, die aus Aachen gebŸrtige GrŸnderin der armen Schwestern vom hl. Franziskus seliggesprochen; am 6. Juli 1975 gelangte der aus TŸbingen gebŸrtige Karl Steeb Konvertit, Priester und Stifter der Barmherzigen Schwestern von Verona, zur Ehre der AltŠre. Am 19. Oktober wurde dann der seligen Maria Theresia Ledochowska, die in Loosdorf in N… aus altem polnisch-šsterreichischem Adel stammte, die Ehre der AltŠre zuteil; desgleichen dem seligen P. Arnold Jansen, dem GrŸnder der Steyler Missionsgesellschaft vom Gšttlichen Wort und dem SŸdtiroler Priester und China-Missionar P. Joseph Freinademetz; zuletzt kam im Hl. Jahr 1975 auch noch die aus westfŠlischem Adel stammende Guten-Hirten-Schwester Maria vom gšttlichen Herzen Droste-Vischering zur Ehre der Seligsprechung. Schlie§lich auch noch am 16. April dieses Jahres 1978 die aus Dernbach im Westerwald stammende Katharina Kasper, die GrŸnderin der ãArmen DienstmŠgde Jesu ChristiÒ.

Ich habe mehrmals zur Vorbereitung auf diese Allerheiligenpredigt – das Leben dieser neuen Seligen und Heiligen durchgelesen und habe mich dann gefragt: Was ist denn der gemeinsame Nenner, auf den diese neuen Seligen und Heiligen gebracht werden kšnnen? Was macht Ÿberhaupt das Wesen jener Menschen aus, die der oberste Lehrer und Hirte der Kirche selig- und heiligspricht und zur Ehre der AltŠre erhebt? Was ist denn ein Heiliger? Und denken wir bei dieser Frage nicht blo§ an die ãoffiziellenÒ Heiligen, sondern auch an die vielen, vielen unbekannten oder jedenfalls nicht kanonisierten Heiligen.

Was ist denn ein Heiliger?

Die Antwort fŠllt nicht leicht, denn die Heiligen sind in ihrer konkreten Art viel zu mannigfaltig und zu verschiedenartig, als dass sie ohne weiteres auf eine einzige Formel gebracht und in ein einziges Schema gepresst werden kšnnten.

Aber vielleicht kann man zunŠchst einmal sagen: Die Heiligen sind sicher einmal solche Menschen, die das blo§e Durchschnitts- und Gewohnheitschristentum weit hinter sich gelassen haben!

Wenn bei den Selig- und Heiligsprechungsprozessen zunŠchst nicht etwa nach den Wundern gefragt wird, die der betreffende Mensch wŠhrend seines Lebens oder nach seinem Leben gewirkt hat, sondern zu allererst nach dem heroischen Grad geforscht wird, mit dem der betreffende Mensch die Tugenden geŸbt hat, vor allem die gšttlichen Tugenden des Glaubens und der Liebe, so ist das unbedingt beachtenswert!

Die Heiligen waren ganz sicher vor allem Menschen mit einem ganz tiefen, unerschŸtterlichen Glauben, durch welchen die Ausrichtung ihres Lebens unverwandt auf Gott zielte. Die Heiligen haben geglaubt. Sie haben nicht lange nach Beweisen verlangt. Die Heiligen glaubten einfach, glaubten allem gegenteiligen Augenschein zum Trotz; ihr Glaube war ein schlichtes, aber ungemein lebendiges und zuversichtliches Vertrauen zu Gott. Was Glaube wirklich ist, lernt man bei den Heiligen, denn bei ihnen ist er noch in einer beinahe wilden Urform vorhanden, wie der bekannte evangelische Theologe Walter Nigg einmal gesagt hat.

Die Heiligen haben mit dem Glauben zugleich auch die Liebe verbunden und in heroischem Grad geŸbt. Sie liebten Gott, liebten Christus mit brennendem Herzen und verga§en darŸber alles, auch sich selbst; sie begnŸgten sich nie damit, nur von der Liebe zu reden, sie Ÿbten die Gottes- und die NŠchstenliebe immer und Ÿberall und waren Ÿberzeugt, dass die wahre Liebe niemals sagt: Es ist genug! Die Heiligen konnten es dem hl. Paulus nachsprechen: ãCaritas christi urget nos! Die Liebe Christi drŠngt uns!Ò Die Heiligen sind die wahrhaft Liebenden, die sich vom Feuer der Gottes- und NŠchstenliebe verzehren lie§en.

Wenn die Kirche im Selig- und Heiligsprechungsprozess verlangt, dass der betreffende Mensch die Tugenden, voran den Glauben und die Liebe in heroischem Grad geŸbt haben muss, soll das freilich wieder nicht hei§en, dass der betreffende Mensch unbedingt Au§erordentliches geleistet haben muss, wohl aber dass er das Gewšhnliche der Christenpflichten au§ergewšhnlich treu und gut und mit einem au§ergewšhnlichen Grad der Gottesliebe verwirklicht haben muss.

Aber gehšrt zum Heiligen nicht doch auch das Au§erordentliche? Bei vielen Heiligen – das meine ich – gehšrte wohl tatsŠchlich eine au§erordentliche Gotteserfahrung zu ihrem Aufbruch in das Streben nach Vollkommenheit und Heiligkeit. Von vielen Heiligen wird man tatsŠchlich (mit Walter Nigg) sagen kšnnen: Sie sind Gott auf eine derart reale Weise begegnet, dass dies unser Fassungsvermšgen Ÿbersteigt. Plštzlich hat sie eine Stimme angerufen oder eine Vision Ÿberfallen, so dass sie, ohne einer SelbsttŠuschung zu erliegen, mit einer intuitiven Sicherheit spŸrten, dass der Ewige hinter ihnen stand. Der Blitz Gottes war durch sie hindurch gefahren, und sie waren fortan vom AllmŠchtigen gezeichnete Menschen. FŸr sie war fortan Gott keine blo§e Idee, auch nicht das Objekt eines fragwŸrdigen Beweises, sondern eine ŸbermŠchtige, erlebte RealitŠt. Aus dieser gnadenhaft erlebten Gotteserfahrung heraus lebten dann die Heiligen und gestalteten ihr Leben und kannten von da an kein feiges Nachgeben mehr den eigenen Trieben und Leidenschaften und erst recht kein feiges Nachgeben gegenŸber dem Zeitgeist und Weltgeist, sie gingen vielmehr unbeirrt geradeaus ihren Weg im vollen Einsatz fŸr das Reich Gottes, das es aufzurichten gilt in uns und um uns herum und in der weiten Welt.

DiesbezŸglich kann man sicher noch sagen, dass die Heiligen fast durchwegs auch Menschen mit einer besonderen Sendung waren.

(Heilige sind nicht Menschen, die um ihrer selbst willen heilig sind und von uns nur wie ein seltenes Tier im zoologischen Garten angestaunt werden wollen. Vielmehr sind die Heiligen eigentlich immer gesendete Menschen, Menschen, die in einer ganz bestimmten Weltstunde erscheinen und von Gott einen bestimmten, bedeutsamen Auftrag bekommen haben.) Die Heiligen sind beauftragt, eine Botschaft an uns Menschen zu Ÿberbringen; dabei steht die Sendung der Heiligen mit der Zeit im Zusammenhang, in die sie hineingeboren wurden und mit der Zeit, in der sie durch die Selig- oder Heiligsprechung vor die Kirche der betreffenden Zeit hingestellt werden als Leitbilder und Vorbilder. (Die Heiligen leben in der Zeit und bezeugen, dass Gott etwas mit ihrer Zeit vorhat.) Trotz der Verbundenheit mit ihrer Zeit gehen die Heiligen nicht im alles verschlingenden Moloch des Zeitgeists unter, sondern schreiten, wŠhrend sie in der Zeit stehen, in das Zeitlose und sind, obschon sie vielleicht in viel frŸheren Jahrhunderten gelebt haben, auch noch zu uns Menschen dieser unserer Zeit gesendet.

Jedem Heil hat Gott ein besonderes Wort, eine besondere Botschaft mitgeteilt, die die Christen aller Zeiten angeht.

Wie antworten wir als Menschen dieser Zeit auf die Sendung der Heiligen, auf die Botschaft der Heiligen? Gehen wir an ihnen gedankenlos vorŸber oder fŸhlen wir uns von ihnen getroffen und sind wir dann betroffen, weil wir den Heiligen so weit nachstehen in der IntensitŠt des Glaubens der Hoffnung und der Liebe?

Etwas gehšrt zuletzt auch noch beachtet, um uns die Heiligen ja nicht falsch vorzustellen: Auch die Heiligen waren Menschen aus Fleisch und Blut wie wir, sie waren, wie die Dogmatische Konstitution Ÿber die Kirche ãLumen gentiumÒ des II. Vaticanums es formuliert hat, ãSchicksalsgenossen unserer MenschlichkeitÒ, sie sind nicht als Heilige vom Himmel gefallen, sie sind nicht als Heilige mit dem Glorienschein zur Welt gekommen, sie sind vielmehr heilig geworden nach einem langen Werdeprozess, nach vielem KŠmpfen und Ringen. (Der Dornenstrauch, in welchem sich der hl. Benedikt gewŠlzt hat, um einer Versuchung Herr zu werden, ist alles andere als ein harmloses Bild. Man erhascht die Heiligkeit nicht in einem einzigen Griff, wie man etwa eine Fliege fŠngt, man erlangt die Heiligkeit nur in einem unaufhšrlichen Ringen, das jeden Tag neu beginnt.

Heiligkeit ist auch nicht mit Fehlerlosigkeit gleichzusetzen, die bei keinem Heiligen anzutreffen war. Auch die Heiligen hatten ihre Fehler und SchwŠchen, aber sie haben eben dagegen beharrlich und konsequent angekŠmpft.) Die Heiligen waren Ringende und Reifende, aber sie blieben in diesem Reifungsprozess und in diesem andauernden Kampf mit der Gnade Gottes, mit der sie treu mitwirkten, die Sieger. Und wenn ein bekanntes Wort sagt: ãSich selbst besiegen ist der schšnste, aber auch der schwerste SiegÒ, so haben gerade die Heiligen das an sich erfahren und erlebt.

Lassen wir es nun beendet sein mit diesen †berlegungen Ÿber das Wesen der Heiligen und der Heiligkeit! Fragen wir zuletzt noch, was wohl die Christenheit ohne die Heiligen wŠre! Die Antwort auf diese Frage hat wieder der genannte protestantische Theologe W. Nigg gegeben mit den Worten: ãOhne die Heiligen wŠre die Kirche samt ihrer ganzen Geschichte ein ãMischmasch von Irrtum und GewaltÒ. Und er meinte erlŠuternd dazu: ãWir kšnnen diese trŸbsinnige Ansicht ein wenig ermessen, wenn wir Ÿber die heutige Situation nachdenken; (in der die Heiligen in den Hintergrund gedrŠngt werden und sich die Christen mit allerlei Schnickschnack abgeben.) Wie gro§ ist doch die Ratlosigkeit und Verwirrung in der Christenheit der Gegenwart! Im Raum der Kirche werden heute konfuse und willkŸrliche Ideen vertreten, und nur wenige Menschen sind es, die noch ein klares Urteil und die Gabe der Unterscheidung der Geister haben. Jeder glaubt und tut, was er will, auf jeden Fall will er modern sein und merkt dabei nicht, dass er nur mit der Zeitstršmung schwimmt und sich der Welt anpasst.

Solcher Anpassung dem Weltgeist und Zeitgeist gegenŸber sind die Heiligen Wegweiser und Orientierungshilfen, weil sie wahrhaft Salz der Erde und Licht der Welt sind. Die Heiligen rŸcken das wieder zurecht, was sich in den letzten Jahren so unheilvoll verschoben hat, sie schaffen Klarheit und Ordnung. Eine Christenheit ohne Heilige gleicht einer Christenheit aus Pappe. Wir brauchen Leitbilder, Richtbilder, wir benštigen darum die Heiligen so unumgŠnglich wie das tŠgliche Brot, weil wir nur mit ihnen die schwere Geistesschlacht der Gegenwart gewinnen kšnnen.Ò

Ja, dieser protestantische Theologe, der viel katholischer denkt als viele katholische Startheologen, meint sogar, die Kirche brauche heute nicht Reformatoren, sondern Heilige; man geht in die falsche Richtung, wenn man auf die Reformen gro§e Hoffnungen setzt. Die Christenheit bedarf vor allem der inneren Erneuerung, was sie nur erreicht, wenn sie wieder mehr auf die Heiligen schaut; Die Heiligen kŸmmerten sich nicht um modische Slogans, sie verpufften ihre KrŠfte nicht in allerlei Experimenten, sie bewiesen, dass man die Kirche im wahren Sinn des Wortes nicht reformiert durch bequeme Erleichterungen, sondern allein durch einen neuen Ernst, durch Leiden und durch Opfer im radikalen Leben aus und nach dem Evangelium!

Danken wir heute am Allerheiligenfest Gott fŸr diese herrlichen Leitbilder und Vorbilder, wie wir sie in den Heiligen haben und sagen wir mit dem hl. Augustinus: ãHaben es diese und jene vermocht, mit der Gnade Gottes die wahre Heiligkeit zu erreichen, warum sollte es nicht auch uns gelingen?Ò Amen